Dem Mainstream herrlich gegen das Fell gestrichen!

Florian Vetsch

 

Nach Jahren der Planung ist es endlich geschafft. Als Nachfolger vieler legendärer Literaturzeitschriften wie „Der Störer“, „Kopfzerschmettern“ oder „Cocksucker“ hat der Herausgeber des mittlerweile ebenfalls eingestellten „Ratriot“, Urs Böke, mit Unterstützung einiger anderer Underground-Verrückten endlich wieder ein Lit-Zine von Format in den Rinnstein gekippt – wobei von einem Fanzine nicht die Rede sein kann, kommt es doch in Buchform daher und nennt sich auch selbst Magazin (deshalb auch der relativ hohe Preis). Auf jeden Fall besticht die MAULhURE durch eine tolle Mischung aus Stories und Lyrix, die noch Mut zur Kritik haben und bewußt anecken, auch wenn sie damit durch die Selbstzensur des Literaturbetriebs durchrasseln. Das ist echt, unverfälscht, dreckig – so wie das reale Leben, das nicht im Dschungelcamp haust und grenzt sich damit wohltuend von der Beliebigkeit der Slampoetry oder der Hausfrauentauglichkeit von etlichen Lesebühnen ab. Bemerkenswert ist, dass die mittlerweile in die Jahre gekommenen Veteranen ihre jugendliche Underground-Pose gegen ernsthafte street credebility eingetauscht haben. War es früher manchmal schwer zu durchschauen, ob manche nur so taten als ob, erweist sich ein überwiegender Teil der Social Beatniks der 90er als ehrliche, antikommerzielle Schriftsteller. Mit Heike Olschansky und Janine Pommy Vega, die leider kurz vor Weihnachten starb, bleibt der Frauenanteil recht bescheiden, aber das Manko wird sich wohl nie ändern. Die MAULhURE tritt auf jeden Fall locker in die Fußstapfen ihrer berühmten Vorgänger und wird hoffentlich noch manches Highlight setzen.

 

Plastic Bomb

 

Jede bessere Buchhandlung hat auch ein Regal mit Lyrik. Da stehen oben die Bände mit den deutschen Klassikern, sofern sie mindestens 500 Jahre tot sind und keinem mehr weh tun können: Goethe, Schiller, … Die verkaufen sich anscheinend immer, und sei es als vergeblicher Versuch von Bildungsbürgern, wild Pubertierenden deutsche Kultur näher zu bringen. Was mit diesem Material ungefähr so erfolgreich sein dürfte, wie ihnen die Odenwaldhölle als In–Location schmackhaft zu machen. Vielleicht verkaufen sie sich aber auch gar nicht und stehen nur da, weil sie halt da stehen müssen.

Drunter steht dann fast überall die „Reim dich oder ich fress dich“-Lyrik. Das gesamte Spektrum von religiöser Tageslosungen bis hin zu esoterischer Sinnsuche. Herzzerreißend illustriert mit Sonnenuntergängen und Tier-Baby-Fotos.  Verkauft sich anscheinend gut, das Zeug. Oder die BuchhändlerInnen bekommen ne fette Provision allein fürs Ausstellen.

Echte Lyrik findest du in Buchhandlungen nicht. Weder einen Jandl, einen Fausner, noch eine Jellineck, und schon gar keine Gioconda Belli.  Wer in deutschen Buchhandlungen moderne Lyrik finden will, muss in die Musik-CD Abteilung gehen.

Auch sonst drängt sich moderne Lyrik nicht gerade auf. Im Gegenteil: Es ist echt schwer, über normale Medien überhaupt mit Lyrik in Berührung zu kommen.

Die „Maulhure“ ist die Gegenthese zu den schwülstigen Schmuddelecken des deutschen Bildungsbürgertums. Sie nennt sich selbst „underground literature magazin“  und sie gibt den  wiederborstigsten, den gescheitertsten und den absonderlichsten Typen der gegenwärtigen deutschen Lyrik eine Möglichkeit, ihr textlichen Absonderungen zu veröffentlichen.

In der Maulhure  versammelt sich – auf je rund 100 Seiten  und „in zwangloser Folge“ (zwei Ausgaben seit 2010 und eine Dritte für 2014 im Druck) Texte und Autoren, die jeder kommerziell denkende Verlag als „kommerzieller Selbstmord“ ablehnen würde. Nicht weil sie schlecht sind-  sondern allein, weil sie den Anforderungen des Marktes nicht entsprechen: Weder sind die Autoren irgendwie B-, C- oder D-Promis, noch entsprechen die Texte in Form oder Inhalte den Erwartungen des zahlungskräftigen und kulturell willigen Bürgertums (s.o.).

Und ja, in der Maulhure finde ich durchaus Texte, die ich in jeder anderen  Kunstform freigiebig mit dem Wort „Müll“ belegen würde. Zum Beispiel, weil sie sprachlich dem eigenen Anliegen nicht gerecht werden. Weil sie alles ignorieren, was mir in Deutschunterricht, Journalismus und Erziehung als gut, richtig und schön eingebläut wurde. Kruden Wort- und Satzkonstruktionen, die den gesunden Sprachverstand herausfordern. Nach einem Lektor schreien, ja, mir suggerieren, sogar ich könne das angemessener, treffender, besser ausdrücken (was ich natürlich definitiv nicht kann).

Also alles Schrott?

Wenn ich ehrlich bin: Nein!

Erstens gibt es in der Maulhure echte sprachliche Perlen und genial treffende Texte. Zweitens sind es gerade einige von den richtig krummen Texten, die mich trotz meines Impulses, sie nicht freiwillig in der Kategorie „Lyrik“ willkommen zu heißen, berühren, emotional ansprechen oder inspirieren. Mehr als andere (etablierte) Lyrik, die zwar meist gekonnter und kunstfertiger rüberkommt –mich aber oft nicht erreicht. Und trotz meines anfänglichen Wiederwillens muss ich feststellen, das mir die Lektüre der Maulhure ein echtes Vergnügen bereitet.

Doch abseits des Unterhaltungsfaktors: Ist das auch Kunst?

Da Kunst ein umstrittener, ja, ich kann mit Recht behaupten, subjektiver Begriff ist, kann nur ein Vergleich mit bereits “etablierter” Kunst  weiterhelfen: Indem ich einen beliebigen (ernsthaften) Lyrik-Sammelband aus dem Regal greife – von einem renommierten Literatur-Verlag. Und dessen Texte mit denen der Maulhure vergleiche.

Erschütterndes Ergebnis: Ich begegne dort überwiegend Texten, die mir absolut gar nichts sagen. Nix. Kopf-Lyrik ohne Bezug zu meinem Leben, Fühlen, Denken. Die auch sprachlich wenig originelles zu bieten haben. Ein Text von zehn triggert in mir vielleicht etwas, das tiefer geht als die Gedichtanalyse im Mittelstufen-Deutsch Kurs eines durchschnittlichen humanistischen Gymnasiums.

Anders in der Maulhure: Dort kann ich in fast jedem zweiten Text etwas Vertrautes identifizieren. Und auch sprachlich blitzt in der Maulhure immer wieder Genialität auf.

Echte Lyrik kann halt nicht an Universitäten gelehrt, an aufgeräumten Schreibtischen entworfen, von gesättigten, ausgeglichenen Menschen geschrieben werden. Echte Lyrik entsteht auf der Straße, in extremen Situationen, aus schrägen Gefühlen. Es mögen noch ungeschliffenen Steine sein, die die Maulhure da veröffentlicht, aber ich habe – für mich – ein paar Edelsteine darunter entdeckt, die Lust auf mehr machen.

Klar: Was mich anspricht, mag anderen nichts bedeuten. Was mich nicht erreicht, mag dich zutiefst berühren. Lyrik ist sicherlich die subjektivste aller Künste.

Gerade das macht die Maulhure aber spannend. Hier wird Lyrik nicht nach den Gesetzen des Marktes oder den persönlichen Vorlieben eines Lektors oder Literatur-Professors ausgewählt, sondern  in einem (nicht-elektronischen) sozialem Netzwerk. Das ich – zum Glück – kennenlernen konnte, weil sich einer der Herausgeber in Darmstadt auf Kulturveranstaltungen herumtreibt.

Ein echtes Overstatement ist jedoch der Untertitel “underground literature magazin”. Nur weil die Autoren vom etablierten Literatur- und Kulturbetrieb noch nicht  anerkannt sind, werden sie noch lange nicht verfolgt oder müssten ihre Werke unter der Hand weiterverbreiten. Auch liegt der Maulhure kein Gegenkonzept oder Programm zugrunde, das den Literaturbetrieb revolutionieren will. Und die in den Texten gelegentlich auf blitzende Gesellschaftskritik ist keineswegs so radikal, dass sie nicht auch in den Mainstream-Medien längst eine Nische gefunden hätte. Divergenz vom Mainstream macht aber noch lange keine Underground – auch wenn sich das natürlich cool anhört, solange man nicht drüber nachdenkt. Hier würde ich mir von den Herausgebern die selbe sprachliche Kreativität wünschen, die sie beim Titel gezeigt haben.

Ach ja: Die Maulhure enthält nicht nur Lyrik, sondern auch Prosa – meist in Form von Kurzgeschichten.

Für mich persönlich entdeckt habe ich durch die Maulhure-Lektüre die folgenden Wort-Artisten, bei denen ich das Potential zu „mehr“spannendem  Material sehe und nach denen ich in Zukunft Ausschau halten werde:

  • Susann Klossek
  • Benedikt Maria Kramer
  • Ni Gudix
  • Urs Böke
  • Jörg Herbig
  • Frank Bröker
  • Jerk Götterwind
  • Florian Günther
  • Marcus Mohr
  • Sybille Lengauer
  • Stefan Heuer

Meine persönliche Favoritenliste nach zwei Ausgaben Maulhure. Bin gespannt auf die Nummer 3.

Wer dem Abenteuer Lyrik und „Maulhure“ folgen möchte, kann zukünftige Ausgaben unter www.undergroundpress.de ordern. Ältere Ausgaben sind im Handel nicht mehr erhältlich, ich stelle für brennende Interessenten aber gern Kontakt zu den Herausgebern her, die noch einzelne Exemplare haben.

neunmalsechs.blogsport.eu

 

Und wie sie sich weiter entwickelt! Auch wenn zwei Mitstreiter (H. Hübsch, Ira Cohen) und eine Mitstreiterin (Janine Pommy Vega) seit dem das Zeitliche gesegnet haben (R.I.P.),  hat sich wieder eine stattliche Anzahl von Dichterinnen und Dichtern gefunden, die die Maulhure zum Bersten bringen. Tolle Mischung aus Lyrix und Short-Stories. Setzt absolut Maßstäbe (über MAULhURE #2)

undergroundpress.de

 

Rezension: MAULhURE
herausgegeben von Urs Böke, Hermann Borgerding, Jerk Götterwind
Edition Paperone Leipzig 2010

Doch, es gibt sie noch, die kritische Subkultur, die nicht nach hohlem Starkult lechzt, sondern bei der es um Inhalte geht. Die an die Kraft der Kunst glaubt und die Kunst nicht nur als Neurosenträger mißbraucht.
Hier sind sie alle versammelt. Jürgen Ploog, Ira Cohen, auch Hadayatullah, der kürzlich erst von uns ging, zusammen mit den Rebellen der jüngeren Generation: Florian Günther, Urs Böke, Jerk Götterwind, Roland Adelmann und diverse mehr. Das Cover stammt von Jenz, der jährlich mit seinem INSIDE ARTZINE im grafischen Bereich abdeckt, was die Dichter mit Worten umschreiben.
Qualität. Man kriegt sie so selten zu Gesicht. Bei den Ego-Schauen auf Facebook und MySpace, bei den Lesebühnen, Lesezirkeln und Käseblättern kommt sie so gut wie gar nie vor. „Subkultur“, sagte ein Lesebühnen- und Heftlesdichter mal, „ist doch eh nur das, was bei Rowohlt und Suhrkamp nicht reinkommt, weil es zu schlecht ist.“ HELs Spruch „wer nix taugt als unkrautvernichter / wird dichter“ schien mir zeitweise wirklich wortwörtlich zuzutreffen, ohne jede Ironie: viele „Dichter“, die ich kennenlernte, waren die größten Deppen weit und breit, hochneurotisch, mimosenhaft, selbstverliebt, minderbegabt und vor allem: vom Schreiben keine Ahnung und zum Schreiben keine Beziehung. Wenn die Äußerlichkeiten zum Aufnahmekriterium werden, gibt es keine Inhalte mehr. Wenn jeder Alkoholiker und Stützi Dichter sein kann dadurch, daß er Alkoholiker und Stützi ist, dann dünnt die Suppe aus.
Es gibt tatsächlich wenige Autoren und Organe, bei denen ich Glühen spüre. Biby Wintjes ist tot, Bruno Runzheimer auch, Hadayatullah auch. In Thomas Collmers ROLLERCOASTER glüht es, in Axel Montes RUDE LOOK, in der Berliner „Floppy Myriapoda“ glüht es nicht wirklich, auch „Libus“ war nur Fake, und die „Luftruinen“ sind manchmal auch noch nicht mehr als ein Organ für Lesebühnis, die probieren wollen, ob sie außer lesen auch schreiben können. Und auch aus Leipzig kommt nichts mehr – Frank Brökers HÄRTER wurde immer weicher, seit es zum „Haus aus Stein“ wurde und es nur noch um den Placebo-Barden Pratajev geht.
Aber Bökes MAULhURE glüht. Diese Gedichte und Prosetten sind nicht zu schlecht für Rowohlt und Konsorten, sondern zu gut. Zu ehrlich. Zu direkt. Zu offen. Die Dichter sind keine jungen Spunde mehr, sie müssen weder sich noch dem Leser etwas vormachen. Der frühe Social Beat war ja auch deshalb oft so banal und prätentiös, da man das Gefühl hatte, man müsse nur möglichst viel Sex und Suff in den Zeilen unterbringen und den Macker raushängen, und schon wäre es ein Gedicht. Von derlei Affereien hier keine Spur – na gut, bis vielleicht auf „Bettfedern“ von Hartmuth Malorny. Aber sonst – Hermann Borgerdings Menschlichkeit rührt einen bis ins Mark, genauso Jörg Herbig. Jerk Götterwind schreibt über Behörden und über eine verquaste Künstlertussi, und da ist überall ein Glimmen zwischen den Worten. Und Florian Günther reflektiert über verflossene Frauen, über Janis Joplin und Arthur Rimbaud, und, Günther: es geht nicht darum, aufhören zu schreiben. Auch Rimbaud hat ja nicht aufgehört zu schreiben. Er hat nur aufgehört, sich in den Schickimicki-Dichterzirkeln in Paris herumzutreiben und zu veröffentlichen. Verstummt ist er nie.
Und ich bin froh, daß auch die MAULhURE nicht verstummt ist.
Die Subkultur ist zäh. Jedenfalls die echte. Sie übersteht Krebs, Entzugskuren, Nervenzusammenbrüche und falsche Propheten. Sie wird reifer, sie wird humorvoller, sie kann grinsen, sie ist gelassener. Aber sie ist nicht totzukriegen.
Sie glüht, ja. Die Asche ist warm. Und das tut gut.

Ní Gudix, 21.1.11

 
 

MAULhURE – das Mitgliederorgan des Undergrounds - herausgegeben von drei Veteranen des Social Beat: Urs Böke, Hermann Borgerding, Jerk Götterwind. Hier trinkt der Underground sein Bier – ungepflegt und ungezogen, schnörkellos und bissig!

undergroundpress.de

 

Urs Böke lädt zum dritten Rundumschlag – und viele folgen seinem Aufruf. Diesmal in Form des Literatur- Magazins “Maulhure”, welches zusammen mit Hermann Borgerding & Jerk Götterwind nun in seiner ersten Ausgabe Veröffentlichung findet.

Aufmerksame kulturterrorismus-Leser wie auch Interessenten der deutschen Untergrundliteratur wissen also, was die Stunde geschlagen hat: dreckige, mal gefühlvolle, mal zynische Texte gibt es zu lesen, Lyrik und Straßenprosa, immer irgendwo zwischen Alkohol, Absturz und löchriger Erinnerung pendelnd. In “Maulhure” hat er sich dazu eine nicht unbeachtliche Anzahl von Autoren mit an Bord geholt. Namentlich finden sich hier neben den drei Initiatoren über zwanzig weitere Autoren (genau Auflistung siehe unten), die allesamt Texte genannter Gangart präsentieren.

Dass sich dabei der ein oder andere Tiefschlag nicht vermeiden lässt, liegt leider auf der Hand. Angenehmerweise finden sich aber ebenso einige Perlen, wenn auch deutlich in der Minderheit. Meist wird es dann spannend, wenn das traditionelle Beharren auf rein formale Gedichtform gebrochen wird, wie zum Beispiel in Roland Adelmanns textlichem Sturmfeuer , in dem der Titel schon die stilistische Attitüde vorwegnimmt: ‘Der Kollaps torkelt durch die Einkaufsstraßen kollabiert knallt mit dem Kopf gegen die Schaufensterscheiben bevor er endgültig zu Boden geht und keiner sich um ihn kümmert und als endlich der Rettungswagen eintrifft ist es längst zu spät’. Ähnlich baut Hadayatullah Hübsch ihren Text ‘September’ auf, ohne jegliche Interpunktion, ungefiltert und nach vorn:

“(…) auf dem zerschundenen gewundenen
ungebundenen
Leib zum Zeitvertreib und Verbleib in den Akten die in den
Jux-Kellern Staub fingen als würden wir uns einen ab-
Ringen müssen wenn wir uns vermissen so vermiest und
Vermient und bedient die Ausfahrtstraßen und Ausfälle kein
Abzug vom Lohn so krank und Undank
(…)”

Natürlich gibt es auch wieder die typischen Saufeskapaden der Marke Bukowski (bspw. Frank Brökers ‘Moving Maniacs’ oder Marcus Mohrs ‘Frustsaufen’), die man sich so nicht wirklich ausdenken, sondern nur erleben kann, die aber auch ab einem gewissen Grad recht alltäglich erscheinen. Böke selbst nimmt wie auch auf “Wir kamen in Frieden” eher Abstand von standardisierten Alkohol-Texten und legt vermehrt Wert auf zeitgeistkritische Texte und Beobachtungen, wirkt dadurch ungemein bitterer:

“(…)
Also weiche ich zurück in Zimmer der Konfusion
analysiere die Dinge und bereite mich vor
die nächste Woche nicht unbedingt zu überleben

(…)”

(’3 Phasen’)

Wirklich überraschend sind hier einige Einzelschüsse, die den Leser recht unvermittelt treffen, und gerade dadurch im Kopf bleiben. Besonders hervorgehoben sei hier Jürgen Ploog, der mit ‘Zoom’ ein ziemlich ergreifendes Porträt eines innermenschlichen Zustands beschreibt, das realistisch und surreal zugleich ist, und am Ende mit einem bitteren Twist aufwartet:

“(…)
Geheul hündischer Wirklichkeit… kalter Wind
zerschneidet die Nacht… tödliche Kokssignale
gellen durch die Straßen, & Windschutzscheiben

splittern
(…)”

Ebenso vermag mich Janine Pommy Vegas Gedicht ‘Hexenkunst’ zu faszinieren, das wohl in diesem Band das feinste Gespür für anspruchsvolle Poesie aufweist, was nicht nur ein Kompliment für die Autorin, sondern auch für die gute Übersetzung aus dem Englischen ist:

“(…)
Sag Beltana, sag Aks aya trt jya
sag Marienmond oder Buddhas Geburtstag
jeden Namen verkörpere ich im Feuer.

Das brüllt
pyramidal auflodert,
und sein Spiegelbild erblick ich in deinem Herzen.

Feuer brennt und brennt nicht.
Wo ist mein Besenstiel?
Vertraue mir.

Als Gesamtwerk krankt “Maulhure” leider an dem Problem der Trivialität, das natürlich an der Quantität der Texte liegt. Sind zwar einige Autoren wirklich ansprechend, so präsentieren andere bestenfalls profanes, Allgemeinplätze, die zwar so jedem bekannt und daher durchaus nachvollziehbar sind, eben genau dadurch aber auch Anspruch missen lassen. Dazu kommen oftmals zu stark abgenutzte Formulierungen und Worthülsen, die zwar für sich allein gestellt Sinn ergeben, im Kontext auch eben jener groben Untergundpoesie die Expressivität, das direkte Moment missen lassen, um zu überzeugen. Dazu kommen leider auch etliche formale Fehler, die durch saubere Korrektur einfach auszumerzen gewesen wären – schade.

Fazit:

“Maulhure” stellt einen spannenden Überblick über deutsche Untergrundpoesie dar, den sich Leser gröberer Gangart durchaus gönnen sollten. Inhaltlich bietet es das gesamte Spektrum von leicht verdaulich bis zum Schlag in die Magengrube, und weiß vor allem durch einige stilistische Brüche Akzente zu setzen. Trotz kleinerer Schönheitsfehler ein überzeugender Einstand!

 

kulturterrorismus.de