Zum Teufel mit Böke!

Seit ein paar Tagen arbeite ich mich nun schon durch Urs Bökes neueste Werke: „Hinter den Betonschluchten“ und „Alles brennt“.

Die „Betonschluchten“ enthalten Gedichte aus seiner Zeit 1996 bis 1998. Logisch, dass er vor 20 Jahren noch nicht die Qualität, die Durchschlagskraft hatte, die ihn heute auszeichnen. Jedenfalls ging ich davon aus, oder richtiger, bildete mir das ein. Keiner liefert über 20 Jahre kontinuierlich so krassen Stoff, sagte ich mir.
Dann blätterte ich das Ding auf. Und schon hatte er mich wieder beim Kragen. Was für ein Sound! Hämmernder Blues – nackt, ungeschminkt, schnörkellos. Gedichte, abgefeuert aus dem Granatwerfer eines Poeten, der sich weder um seine Reputation, noch um die Trümmer, die er hinterlässt, zu scheren scheint. Jeder Satz ein Illusionen vernichtender Einschlag in die ohnehin schon brüchige Fassade einer Welt, die ungebremst ihrem Untergang zustrebt.

In „Alles brennt“ ist der Granatwerfer verstummt. Die Gedichte kommen – sofern das bei Böke überhaupt möglich ist – subtiler rüber, sind aber deswegen in ihrer Aussage und Wirkung nicht schwächer. Der Schreiber bleibt auch hier unversöhnlich mit der Welt, die ihn umgibt. Sein Gedicht „In Rauch“, lässt leise Resignation durchschimmern. Der Schlusssatz „Weil du dir / keine Fragen mehr stellst / die du nicht / beantworten kannst“ zerrt an meinem Seelenfrieden und wird mich noch eine Weile beschäftigen.

Ob ich Böke empfehle? Ja! Was ich von Böke empfehle? Alles! Uneingeschränkt!

Doch Vorsicht! Bökes Schreibe ist tückisch wie ein Schnappmesser. Mal eben lesen, geht nicht. Ihre ganze Tiefe entfaltet sich nur, wenn du dich vorbehaltlos auf sie einlässt. Erst dann, und nur dann, spürst du den kalten Stahl der Klinge an deiner Kehle, der dich zwingt, genau hinzuschauen, zu erkennen, dass du es bist, dessen ewige Ausreden da entlarvt und ad absurdum geführt werden.

Sollte ich jemals wieder in Versuchung geraten Gedichte zu schreiben, dann wegen Böke. Zum Teufel mit ihm! Vorerst liegt er weiter auf meinem Nachttisch. Für alle Fälle.

Ron Hard

Und da ist Urs Böke aus Essen, der sich in der Szene nicht nur als Herausgeber des Ratriot und der Maulhure, sondern insbesondere als Dichter mit kompromissloser Wortwahl und eigenem Sound einen Namen gemacht hat und ebenfalls seit Jahrzehnten in unterschiedlichen Verlagen einen Band nach dem anderen in die Welt setzt. Alleine im Jahr 2017 erschienen mit "Schorf – Erzählung ohne Dialog" (Ratriot Medien, erstmalig Prosa), "Morbus Heimat" (Gedichte, ebenfalls Ratriot Medien) und "Alles brennt" (Gedichte, gONZoverlag) gleich drei neue Einzelbände.

 

Sobald der Magen knurrt
sind Daten und Fakten unerheblich
Theorien sitzen im Wartezimmer
Dr. Leben hat seine Praxis geöffnet

 

Stuhl an Stuhl Leid an Leid
Analphabeten
können Würde nicht schreiben
doch Schmerzen
lauern in ihren Gebeinen
die Justiz verhöhnt dich
die Polizei
langsam sackt der Kopf
zwischen die Stühle
vielleicht ist es Ohnmacht

(aus "Ravachol lacht")

 

Von Altersmilde keine Spur.

Stefan Heuer, fixpoetry