Wochenzeitung der Freitag, 30.06.2017

Urs Böke schreibt seit Jahrzehnten Gedichte, Gedichte und immer wieder Gedichte. Ob zwischen Job und Wohnung, oder im Übergang von der Nacht zum Tag, stets fokussiert er Eindrücke, presst sie aus und serviert dieses: „Ein Raum voller Menschen/ und dann noch bei Tage/ das ist dein größter Alptraum/ Ein Leben ohne Ehrgeiz/ und immer nur Nacht/ das ist dein bester Moment.“

Der 1975 in Essen geborene Autor ist längst ein Poet der Nacht, einer von der schlimmen Sorte, der, ohne was rein zu tun, den leeren Kühlschrank wahrnimmt und den leeren Briefkasten ignoriert, weil eh keiner kommt und was bringt.
Pragmatische Poeten sind gefährlich – bzw. unlesbar für die Mehrheit – , sie beurteilen ihr
Denken vom Standpunkt des praktischen Nutzens, sie denken und haben vorher etwas gedacht. Von nichts anderem sprechen Bökes Gedichte. Er bleibt  seinen Themen treu: Alkohol, Drogen, Gewalt, Leere und Liebe. Darüber könnte man Romane verfassen, doch er packt die Quintessenz in wenige Zeilen.  „Cash ist heute nicht im Flow/ das Koks hat schlechte Qualität/ gestreckt wie junge Nutten …“

Morbus Heimat ist ein schmales dünnes Heft,
dieses Jahr bei
Rodneys Underground Press
erschienen. Vier der insgesamt 30
Gedichte wurden in einer Collage zusammengestellt – ähnlich wie
Erpresserbriefe. Dank seines beständigen Stils kann man davon ausgehen, dass er selbst nach
einem Lottogewinn keine Schönfärberei betreiben wird. Bis dahin kümmert sich Urs Böke um
„Ratriot“ und „Maulhure“, zwei Lit-Zeitschriften, die er herausgibt. (Maulhure mit Götterwind und
Borgerding.)

Morbus Heimat ist morbid, die Gedichte zeigen den im Verfall begriffenen moralischen Zustand unserer Welt, doch im Erkennen liegt die Chance. Ob man dann wegguckt, ist wieder eine andere Sache.

Hartmuth Malorny