Das folgende Interview führte Jörg Herbig.
Es wurde 2009 im OX-Fanzine veröffentlicht.
Operation: Hard-Mouth-Poetry
Urs Böke schreibt Gedichte wie Geschosse, mal streuend wie mit einer Schrotflinte, mal zielgenau wie die Kugel eines Heckenschützen. Er wurde 1975 in Essen geboren und lebt dort bis heute. Nach
Abbruch der Schule machte er eine Ausbildung zum Tischler. Seit 1992 veröffentlicht er kontinuierlich Lyrik in Fanzines, Zeitschriften und Anthologien. Sein Poetry-Fanzine RATRIOT fand zudem
großen Anklang im literarischen Underground.
Gedichte werden von vielen Leuten in erster Linie mit Wald- und Wiesenlyrik oder Tagebucheinträgen schmachtender Teenager assoziiert. Wie ist es bei dir als Fußballfan und Stadiongänger,
wie reagieren deine Freunde darauf, dass du Gedichte schreibst? Oder trennst du diese beiden Welten voneinander?
Böke:
Meine Texte sind die eines schmachtenden Teenagers! Aber so verschieden sind diese Welten gar nicht, du unterschätzt die Stadiongänger. Ob Kurve oder Gedicht, du mußt im richtigen Moment da sein
und das Wort über die Linie bringen. Passend und wortkarg, ohne Geschwafel. Einige Freunde wissen um die Gedichte, andere nicht. Das ist nicht wichtig. Wichtig sind immer nur drei Punkte.
Autoren wie Charles Bukowski, Hermann Hesse oder Ernest Hemingway waren dem Alkohol ja alles andere als abgeneigt. Hermann Hesse sagte zu diesem Thema einmal, dass er nur unter Einfluss
von Alkohol schreiben könne. Kannst du das nachempfinden? Wie ist es bei dir?
Well, die alte Legende von den trinkenden Schreibern und den schreibenden Trinkern...ich würde sagen, seinen Büchern nach hat Hesse dann eindeutig zu wenig gesoffen. Im Grunde ist es so, daß der
erste Satz, die erste Zeile unter Einfluß von Alkohol (das klingt verdammt panne), also Klartext: besoffen fällt der Anfang eines Gedichts leichter. Den Rest erledigt die Tastatur von ganz
alleine. Anfang und Ende, das muß stimmen. Aber das ganze Leben fällt besoffen leichter. Geh mal Samstag vormittags nüchtern einkaufen, und dann stell mir die Frage noch mal.
Seit 2006 liegt dein Poetry-Fanzine RATRIOT auf Eis. Machst du stattdessen etwas anderes oder hast du keine Lust mehr auf die ganze Arbeit, die ein Fanzine mit sich bringt? Woher kommt
eigentlich der Name RATRIOT? Hat er eine besondere Bedeutung?
Erstmal zum Ratriot. Das war die Übersetzung eines Berichts in irgend einer größeren Tageszeitung zu Beginn der 90er, die die damalige Social-Beat-Szene als literarischen “Rattenaufruhr”
bezeichnete. Wobei in Ratriot auch immer etwas andere Texte als reiner Social Beat zu finden waren, aber egal. Viel interessanter ist die Tatsache, daß der Austausch des ersten R gegen ein P nen
Patriot ergibt. An dieser Stelle braungeschissene Grüße an die jeweiligen Arschmaden. Ihr wißt schon wer...ansonsten wird zukünftig die MAULhURE erscheinen, bei der auch die Komplizen Axel Monte
und Jerk Götterwind die Finger mit im Spiel haben. Aber ne ordentliche Faust können wir trotzdem noch machen! Ich sitze momentan über dem Layout und kann sagen, daß hochkarätiges dabei sein
wird...
Sind deine Gedichte zum größten Teil autobiographisch oder eher fiktiv?
Selbstverständlich ist alles, was ich bisher geschrieben habe und alles, was ich noch schreiben werde, vollkommen fiktiv. Oder bei anderen Autoren geklaut. Bei Sarah Kirsch und Hilde Domin.
Deine Gedichte wechseln – um es einmal platt zu sagen – zwischen Gefühl und Härte. Neben Verachtung gegenüber dem Großteil der Menschheit, kommt das Thema Liebe nicht zu kurz. Wie wichtig
ist für dich Image?
Sowas hab ich nicht. Und wenn, ist das ein Problem der Leute, die dran glauben.
Hat dich das Leben in Essen in einer besonderen Weise als Dichter geprägt?
Auf jeden, auf jeden! Guck dir diese Stadt an und dann versuch mal, was schöngeistiges zu verzapfen. Stadt und Verein Rot-Weiss spielen deutlich unter Wert. Aber trotzdem bin ich jeden Morgen
froh, daß ich nicht in Gelsenkirchen geboren wurde. Wenn du hier als Blag Gewinner sein willst, gehst du zu Scheiße 04 oder zum BVB. Tja, soviel Ehrgeiz hatte ich nicht...
Welchen Einfluss hat Musik auf deine Gedichte beziehungsweise auf deine Kreativität?
Durchaus einen. Es gibt da so einige Platten, wo tatsächliche Wahrheiten in die Rillen gepresst wurden. Beim Schreiben allerdings hör ich eher irgendwas leichtes, weil alles andere ablenken
würde. Napalm Death, Discharge oder so...
Hast du Kontakt zu anderen Autoren?
Ja. Aber ich verrat nicht zu welchen...Das Problem im Underground ist, daß sich auch dort fast jeder selbst der nächste ist. Ist die gleiche Scheiße wie im Mainstream, nur daß es kaum jemand
mitkriegt. Aber es gibt durchaus einige, zu denen man einen freundschaftlichen Kontakt pflegt und für die ich meine Hand ins Feuer legen würde.
Zum Schluss drei Schlagworte von dir, mit denen du deine Gedichte selbst umschreiben würdest?
Leben Perspektiven Zyankali.